22.Nov 2024

Gründen: Was läuft bei FOSS-Projekten anders?

Freie und Open-Source-Software (FOSS) wird nicht selten aus persönlichen Interessen und für den eigenen Bedarf entwickelt. Dabei entstehen innovative Lösungen, die für viele Personen einen Nutzen bringen können. Damit kleine FOSS-Projekte nachhaltig für andere nutzbar werden können, reichen oft ehrenamtliches Engagement und zufällig gewachsene Strukturen nicht aus. Geld einzunehmen, wird dann wichtiger (wie die 6. Staffel des Public Interest Podcast beleuchtet hat) und das Gründen einer Organisation, die das FOSS-Projekt betreut und Einnahmen verwaltet, ergibt oft Sinn. Was aber läuft bei FOSS-Projekten anders als bei solchen, hinter denen proprietäre Software steht?

Kommerzielle Softwareprojekte

Während Open-Source-Lizenzen den Verkauf von Nutzungsrechten ausschließen, eignen sich andere verbreitete Finanzierungsmodelle und etablierte Organisationsformen für proprietäre Software auch für FOSS-Projekte.

Finanzierungsmodelle

Zu den Finanzierungsmodellen, die sowohl für proprietäre Software als auch für FOSS in Frage kommen, gehören die Cloud-basierte Bereitstellung von Anwendungen (Software as a Service bzw. SaaS) und andere Dienstleistungen rund um Softwareanwendungen, wie z. B. Beratung zu deren Einführung, individuelle Anpassungen, und Wartung. Unter den beim Prototype Fund entwickelten Projekten wird beispielsweise die Kollaborationssoftware Stackspin heute vom Hostinganbieter Greenhost als Software as a Service anbietet. Zur Finanzierungsstrategie der FixMyCity GmbH, die aus dem Prototype-Fund-Projekts FixMyBerlin hervorgegangen ist, gehören Dienstleistungen wie die maßgeschneiderte Softwareentwicklung für Städte und Kommunen.

Im Gegensatz zu Unternehmen und anderen Organisationen sind individuelle Endanwender*innen häufig nicht bereit oder in der Lage, für SaaS und andere Dienstleistungen zu zahlen. Software für Endanwender*innen kann stattdessen über den Verkauf von Nutzendendaten oder die Einbindung von Werbung finanziert werden. Das widerspricht den idealistischen Prinzipien vieler unabhängiger Entwickler*innen und Nutzenden von FOSS und Förderprojekte des Prototype Fund haben sich bisher nicht für diesen Weg entschieden. Durch die verbreite FOSS-Definition der OSI selbst ist er allerdings nicht ausgeschlossen. Ein Beispiel für ein FOSS-Projekt, das dieses Finanzierungsmodell gewählt hat, ist der Firefox Browser. Die Mozilla Corporation finanziert dessen Entwicklung und Maintenance sowohl durch die standardmäßige Einbindung von Google als Suchmaschine als auch das Sammeln von Daten für die Werbeindustrie.

Um proprietäre Software kommerziell zu vertreiben, spielt der Verkauf von Nutzungslizenzen nach wie vor eine entscheidende Rolle. Ein beliebter Weg ist deshalb, ansonsten frei und offen zur Verfügung gestellte Software in Teilen unter proprietärer Lizenz zu veröffentlichen. Dazu wird die freie Nutzung der Software beispielsweise auf bestimmte Nutzende oder Nutzungszwecke wie nicht-kommerzielle Zwecke beschränkt, sogenanntes Dual Licensing. Ein zweiter Ansatz ist das Open-Core- bzw. Freemium-Modell, bei dem zusätzlich zu einer Basisversion unter Open-Source-Lizenz weitere Funktionen gegen Zahlung einer Lizenzgebühr angeboten werden. Für Softwarekomponenten, die beim Prototype Fund entwickelt werden, sind Dual Licensing und Open Core nicht möglich, weil sie vollständig unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden müssen. Für deren Weiterentwicklung gilt das jedoch nicht. Die auf einem beim Förderprojekt des Prototype Fund aufbauende Ticketing-Software pretix wird mittlerweile von der rami.io GmbH über Dual Licensing angeboten und nur für die gewerbliche Nutzung fällt eine Lizenzgebühr an.

Initiale Finanzierung

Da für proprietäre Software mehr kommerzielle Finanzierungsmodelle offenstehen, stehen am Beginn des Entwicklungsprozesses für sie private Investitionen leichter zur Verfügung als für FOSS-Projekte. Auch für Open Source Startups gibt es Venture Capital Funding. Allerdings ist es auf Gewinne aus Open-Core-Modellen ausgerichtet, die von vielen FOSS-Entwickler*innen abgelehnt werden.

Organisationsformen

Wenn Software langfristig mit einer Gewinnabsicht entwickelt und vertrieben wird, muss ein Unternehmen gegründet werden. In Bezug auf die verschiedenen Gesellschaftsformen, die dafür möglich sind, bestehen keine Unterschiede zwischen proprietärer Software und FOSS. Entscheidend für die Auswahl sind stattdessen Faktoren wie die Anzahl der Gründer*innen, Haftungsfragen oder die Art und Höhe der Startfinanzierung.

Ein Faktor, der FOSS-Unternehmen von anderen unterscheidet, ist, dass sie sich entscheiden müssen, inwiefern sie eine Community um ihr Projekt aufbauen und wie sie diese in ihr Projekt einbinden wollen. Während bei allen FOSS-Projekten gewisse Unterschiede zwischen dem Kernteam und der weiteren Community bestehen, können bei kommerziellen FOSS-Unternehmen leicht größere Machtungleichgewichte und Interessenunterschiede auftreten. Governance-Mechanismen, die Rollen und Entscheidungsprozesse im Projekt festlegen, helfen dabei, zwischen verschiedenen Perspektiven zu vermitteln. Um Lizenzkonformität gewährleisten zu können und um Software rechtssicher vertreiben zu können, kann es für Projektleitungsteams außerdem sinnvoll sein, ein Contributor License Agreement oder Developers Certificate of Origin von Beitragenden anzufordern. Darin sind die lizenz- und urheberrechtlichen Bedingungen vereinbart, unter denen Beiträge zum Projekt geleistet werden.

Softwareprojekte ohne Gewinnorientierung

Soll ein FOSS-Projekt ohne Gewinnorientierung entwickelt werden, so kommen grundsätzlich dieselben Finanzierungsmodelle und Organisationsformen in Frage wie für proprietäre Softwareprojekte. Allerdings kann die Veröffentlichung der Software unter einer Open-Source-Lizenz zeigen, dass die Entwicklungsergebnisse der Allgemeinheit zugutekommen und langfristig verfügbar bleiben, und auf diese Weise mögliche Geldgebende überzeugen.

Finanzierungsmodelle

Wichtige Einnahmequellen für Softwareprojekte ohne Gewinnorientierung sind einerseits frei verwendbare Spenden, Sponsoring oder Mitgliedsbeiträge und andererseits Crowdfunding oder Förderung für einen bestimmten Zweck. Insbesondere Spenden, Sponsoring und Mitgliedsbeiträge sind als Finanzierungsmodelle dann erfolgreich, wenn ein Projekt öffentlichkeitswirksam zeigen kann, dass es erfolgreich ein gesellschaftliches Ziel verfolgt, das andere unterstützen wollen. Durch Spenden und Sponsoring finanziert sich beispielsweise das Soziale Netzwerk Mastodon, für das Teilkomponenten mit Förderung durch den Prototype Fund entwickelt wurden. Als unabhängige Open-Source-Alternative zu anderen Sozialen Netzwerken konnte sich Mastodon besonders nach dem Twitter-Verkauf 2022 positionieren und neue Spender*innen hinzugewinnen. Oft kommen durch Spenden, Sponsoring oder Mitgliedsbeiträge kleinere Geldbeträge zusammen. Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge und Spenden in geringerem Umfang erzielt beispielsweise der Verein Datenanfragen.de, der sich für die Durchsetzung individueller Datenschutzrechte einsetzt und für den beim Prototype Fund eine App und zurzeit ein Add-on entwickelt wurde bzw. wird.

Auch für System- und Entwicklungssoftware, die für Endanwender*innen weniger sichtbar ist, können Spenden, Sponsoring und Mitgliedsbeiträge ein wirksames Finanzierungsmodell sein – allerdings in der Regel nur dann, wenn es sich um FOSS handelt und das Projekt eine gewisse Größe und Verbreitung erreicht hat. Mögliche Geldgeber*innen sind dann vor allem Tech-Unternehmen und Entwickler*innen, die die System- und Entwicklungssoftware selbst nutzen oder weiterentwickeln. Neben direkter finanzieller Unterstützung bestehen Spenden von Unternehmen teils auch darin, dass sie Mitarbeitende für die Arbeit an FOSS-Projekten freistellen. Für einige der größten FOSS-Projekte sind Unternehmen die wichtigsten Geldgeber. Ein Beispiel sind die Projekte der Linux Foundation, die von einer Vielzahl an Unternehmen, darunter Google, Meta, Microsoft und Amazon Web Services, finanziert wird.

Eine weitere wichtige Finanzierungsquelle für Softwareprojekte ohne Gewinnorientierung sind Förderprogramme aus öffentlichen Mitteln und von Stiftungen. Durch sie lassen sich Teilprojekte finanzieren. Viele Förderprogramme finanzieren auch proprietäre Software, andere beziehen die Veröffentlichung unter Open-Source-Lizenz positiv in ihre Auswahlentscheidung ein oder machen das sogar zur Bedingung. Ausschließlich FOSS finanzieren mit öffentlichen Geldern beispielsweise die Förderprogramme der nlnet Foundation, des Open Technology Fund und der Sovereign Tech Agency.

Initiale Finanzierung

Für die initiale Finanzierung eignen sich sowohl für proprietäre Software als auch für FOSS in erster Linie Crowdfunding und Förderprogramme. Ein gewisser Anteil an Arbeit wird aber auch durch freiwillige Arbeit zu leisten sein. Freiwillige und Fördergelder können durch den offenen Entwicklungsprozess und die freie Verfügbarkeit der Projektergebnisse für neue FOSS-Projekte unter Umständen leichter gewonnen werden.

Organisationsformen

Eine Organisation zu gründen, ist zwar nicht für alle der genannten Finanzierungsmodelle für Softwareprojekte ohne Gewinnorientierung zwingend erforderlich, in der Regel ist es aber dennoch sinnvoll, um Gelder transparent einnehmen und verwalten zu können. Welche Organisationsform für das jeweilige Projekt die richtige ist, hängt von Faktoren wie der Anzahl der beteiligten Personen und dem verfügbaren Vermögen bei der Gründung ab und unterscheidet sich für proprietäre Software und FOSS nicht. Damit Spenden und Mitgliedsbeiträge steuerlich absetzbar sind, ist es für Organisationen, die Softwareprojekte ohne Gewinnorientierung betreuen von Vorteil, wenn sie gemeinnützig sind. Bisher ist die Entwicklung und Pflege von FOSS nicht explizit als gemeinnütziger Zweck anerkannt und es ist von der Auslegung des zuständigen Finanzamts abhängig, ob es eine Organisationen als gemeinnützig anerkennt, die Software – proprietär oder open source – ohne Gewinnorientierung bereitstellt. Eine Alternative zur Gründung einer eigenen Organisation bieten Fiscal Hosts, die sich in den vergangenen Jahren besonders für FOSS-Projekte etabliert haben. Sie bieten an, administrative Aufgaben wie die Verwaltung von Spendengeldern zu übernehmen und können, sofern sie selbst gemeinnützig sind, die damit verbundenen steuerlichen Vorteile an die gehosteten Projekte übertragen. Die Plattform Open Parliament TV, für die ein Annotations-Tool und eine Einbindung von Wikidata mit Förderung durch den Prototype Fund umgesetzt wurden, nutzt dieses Modell und ist beim Fiscal Host Center for the Cultivation of Technology angesiedelt.

Wie auch bei FOSS-Unternehmen ist eine Besonderheit bei FOSS-Organisationen ohne Gewinnorientierung, dass das Kernteam, das für die Organisation arbeitet, und die ehrenamtlichen Community gemeinsame Governance-Prozesse finden muss. Zusätzliche Herausforderungen können entstehen, wenn eine große Zahl an Entwickler*innen von Unternehmen für die Mitarbeit bezahlt wird, die auf diese Weise mehr Kapazitäten haben als andere Entwickler*innen und so das Projekt dominieren könnten.

Fazit

Gründungen, hinter denen proprietäre Software steht, und Gründungen, die auf FOSS aufbauen, haben zunächst einmal einige Gemeinsamkeiten: Viele der Finanzierungsmodelle und Unternehmens- bzw. Organisationsformen kommen grundsätzlich für beide in Betracht. Es bestehen allerdings auch Unterschiede. Dazu gehört, dass eine kommerzielle Finanzierung für FOSS sowohl zu Beginn als auch langfristig nach wie vor schwieriger ist als für proprietäre Software. Bei Einnahmequellen für nicht-kommerzielle Software hat FOSS gegenüber proprietärer Software einen leichten Vorteil. Gerade die initiale Finanzierung durch Förderung geht allerdings häufig auch an proprietäre Software. Eine wichtige Besonderheit von Gründungen mit FOSS ist außerdem, dass sie schon früh und in größerem Umfang als Gründungen mit proprietärer Software Organisationsentwicklung betreiben müssen, die nicht nur das Kernteam, sondern auch die weitere Entwickler*innen-Community einbezieht und das Projekt rechtlich absichert.

Gründen: Was läuft bei FOSS-Projekten anders?