02.Aug 2018

Lesen&Lernen No. 10

In unserem Library-Slack stauen sich die Artikel, eine ganze Reihe haben wir heute am #lesemittwoch (der egal an welchem Tag immer so heißt) weggelesen und besprochen. Fangt!

Technical Intuition: Instincts in a Digital World, Alix Dunn
https://medium.com/@alixtrot/technical-intuition-instincts-in-a-digital-world-a6bfda669a91

Alix Dunn, Mitgründerin von The Engine Room, hat in einem Blogpost ihre Gedanken zu „technical literacy“ und „Coden für Alle“ – Konzepten zusammengefasst. Und differenziert aus, warum diese Ansätze nicht die zukunftsträchtigsten sein könnten, wenn es um den souveränen Umgang mit Technologie geht. Statt technische Spezialisierung zu fördern oder Entscheidungsmacht über Systeme und Dienste allein an „technische“ Experten zu delegieren, wie es in den beschriebenen Denkschulen oft der Ansatz ist, schlägt sie vielmehr vor, sich ein Mind – und Toolset anzueignen, das sie „Technical Intuition“ nennt und das sich zusammensetzt aus einer Analyse- und Handlungskette aus Imagine/Inquire/Decide/Demand. Also: Funktionen konzeptuell erfassen und analysieren, in Frage stellen, die eigene Bias überprüfen und dann gezielt nach funktionalen Systemverbesserungen zu verlangen.
Diese Kette illustriert sie an einer Bonuskarte im Supermarkt und deren Bezug zum Datenökosystem.
Wichtigste Technik für Entscheidungen über Technologieakzeptanz oder Entwicklungspfade: imagine different outcomes. In welcher möglichen (zukünftigen) Welt und welchem Kontext könnte die Wirkweise einer Technologie/eines Dienstes problematisch werden? Und: sollte die Überlegung mich in dem aktuellen Kontext dann dazu bewegen, eine Technologie/ein Tool nicht einzusetzen?
„Maybe one day they will strategically charge me more based on goods they can tell I need or have a higher urgency for. An insurance company may want to know how much alcohol or over the counter medicine I purchase. Credit agenciesmay use the data to develop profiles or predictions about my spending habits.“

Moneyquotes:

„(…)most of the gaps in consumer protection exist because customers don’t have sufficient interest and technical intuition to pressure companies to be better — and politicians think we don’t care enough about these issues to warrant or incentivise regulatory action.“

Our aim is not a world in which everyone is a coder, or statistician, or designer, or engineer. Or a world where everyone wants to be a technologist. We want a world where it is possible for all of us to build technical intuition and reclaim our individuality and agency within and about digital systems

As Peter Thiel ditches Silicon Valley for LA, locals tout ‚conservative renaissance‘, Olivia Solon
https://www.theguardian.com/technology/2018/feb/16/peter-thiel-silicon-valley-move-la-conservatives-welcome

Der Aufhänger des Artikels ist Peter Thiels Umzug von Silicon Valley nach Los Angeles. Als Konservativer und Trump-Unterstützer fühlt sich Thiel im liberalen, mit großer Mehrheit demokratischen, Silicon Valley nicht respektiert. Der Artikel kreist um das Problem, inwiefern eine einseitig geprägte politische Kultur bei den großen Tech-Companies ein reales Problem darstellt, und ob es ein konservatives Gegengewicht bei den Entwicklungen braucht. Am Ende müssen jedoch beide Seiten akzeptieren, dass es nicht das Gleiche ist, ob eine Überzeugung argumentativ herausgefordert oder eine Meinung unterdrückt wird.

How Silicon Valley Has Disrupted Philanthropy, Alana Semuels
https://www.theatlantic.com/technology/archive/2018/07/how-silicon-valley-has-disrupted-philanthropy/565997/

Im Sillicon Valley gibt es sehr viele Menschen mit sehr viel Geld. Viele non-profit Organisationen, vor allem in den USA, sind komplett auf Spenden angewiesen, um ihrem guten Zweck nachzugehen. Der Artikel beschreibt, wie die Kultur der Silicon-Valley-Unternehmen die Strategien und Ausrichtungen der sozialen Organisationen verändert hat – die Tech-Unternehmen wollen „Disruption“ von Armut und Datensätze zum Impact ihrer Spenden, und die auf Spenden angewiesenen Organisationen müssen ihre Programme auf diesen Wunsch anpassen, um Gelder zu bekommen. Somit werden ehemalige einfache Jugendclubs zu Start-Up-Schmieden, in den das Pitchen und Skills für die Jobs für morgen trainiert werden.

A Global Guide to State-Sponsored Trolling, Michael Riley, Lauren Etter, Bibudhatta Pradhan
https://www.bloomberg.com/features/2018-government-sponsored-cyber-militia-cookbook/

Der Bericht besticht nicht nur durch liebevolle ASCII-Art, sondern auch durch eine Menge an Beispielen dafür, wie politische Parteien und Regierungen weltweit in den sozialen Medien massiven Einfluss ausüben. Das geschieht nicht nur mit äußerst intransparenten Mitteln, sondern bedient sich der Androhung von Gewalt an ganze Dörfer, Gewaltaufrufen gegenüber Aktivistinnen und Rufschädigung anderer politischer Akteure. Die Beispiele stammen dabei aus aller Welt: mit Malta und Österreich werden z. B. auch zwei EU-Mitgliedsländer genannt. Bemerkenswert sind zwei Kernaussagen des Berichts: Erstens wird die staatliche Zensur sozialer Netzwerke zunehmend aufgegeben und durch aktive Desinformations- und Rufmordkampagnen durch koordinierte Trollangriffe ersetzt – die Trolle stammen dabei aus politischen Jugendorganisationen, werden von Medienagenturen bezahlt, oder erhalten eine „Aufwandsentschädigung“ in Form von Essensmarken. Zweitens verdeutlicht der Bericht am Beispiel der Türkei in der Folge der Gezi-Proteste, wie die Sozialen Medien dadurch für Aktivist*innen unbenutzbar wurde, sei es zur Selbstorganisation oder für die Öffentlichkeitsarbeit. Hier zeigt sich, wie wichtig alternative und dezentrale Kommunikationsstrukturen wären. Traurigerweise wenig überraschend ist die Aussage, dass besonders Frauen Ziele der gewaltvollsten medialen Angriffe sind, die oft auch in physischen Angriffen bis hin zu Ermordungen resultieren.

Limitless Worker Surveillance, Ifeoma Ajunwa, Kate Crawford, Jason Schultz
https://lawcat.berkeley.edu/record/1127979?ln=en

Die Überwachung von Arbeiter*innen hat eine lange Tradition – und bekommt durch technischen Fortschritt eine neue Qualität. Ökonomische Hindernisse auf dem Weg zu einer umfassenden Aushählung der Privatsphäre von Arbeitnehmenden werden durch Technologien aufgelöst, und mit weniger Aufwand kann mehr über die Arbeitszeiten und über die Arbeiter*innen selbst, ihre Gesundheit, ihr Privatleben und ihr Körpergewicht herausgefunden und ausgewertet werden. Die Maßnahmen führen vereinzelt zu einer Effizienzssteigerung – auf Kosten der Gesundheit, der Moral und des Wohlergehens der Mitarbeiter*innen. Ajunwa, Crawford und Schultz untersuchen in diesem Paper die existierenden Maßnahmen zur Überwachung am Arbeitsplatz, in welcher Tradition sie stehen und welche Gesetze es in den USA gibt, um diesen Trends gegenzusteuer

Lesen&Lernen No. 10