Civic Tech: Technologie für Bürger*innen
Es ist das Jahr 2016 und kein Text sollte damit beginnen, die zunehmende Rolle digitaler Technologien in unserem Alltag zu betonen. Wir kennen die neuen Arten der Interaktion und Vernetzung, genießen täglich digitale Angebote und finden es selbstverständlich, dass die fünf größten Unternehmen der Welt nach Börsenwert Apple, Alphabet (Google), Microsoft, Amazon und Facebook sind.
Obwohl unser Alltag von Apps, E-Mails und internetfähigen Fernsehern durchzogen ist, gibt es Bereiche, in denen die Möglichkeiten neuer Technologien noch nicht ansatzweise ausgeschöpft sind. Fortschritte sind vor allem in hoch kommerziellen Bereichen sichtbar — im Finanz- und Versicherungswesen oder in der Werbebranche — überall dort, wo Bits und Bytes, Daten und Algorithmen sich zu Geld machen lassen. In Bereichen, in denen Profit nicht an erster Stelle steht, geht es oft schleppend voran mit der Digitalisierung. In Politik und Verwaltung beispielsweise. Das hat viele Gründe: strukturelle Mängel, fehlende Expertise, Sicherheitsbedenken, Technologie-Skepsis, … die Liste ist lang.
Doch seit einiger Zeit tut sich etwas. Unter dem Begriff “Civic Tech” werden digitale Werkzeuge für Bürger*innen entwickelt — nicht von Unternehmen oder Regierungen, sondern direkt von Softwareentwickler*innen, Designer*innen und Hacker*innen. Diese Werkzeuge sollen Bürger*innen besseren Zugang zu Informationen ermöglichen, die Kommunikation und Vernetzung zwischen Bürger*innen, Communitys, Politik und Verwaltung vereinfachen, den öffentlichen Diskurs stärken und vieles mehr. Kurz gesagt: Civic Tech will Technologien für die Gesellschaft einsetzen.
Die Definition ist breit gefasst, denn Ziele, Aktivitäten und Errungenschaften von Civic Tech sind vielschichtig und weitläufig. Von Visualisierungen und Infografiken über Crowdsourcing und P2P-Sharing — es gibt viele Möglichkeiten, Technologien für gemeinnützige Zwecke einzusetzen. Diese neuen Technologien können den Einzelnen ermächtigen und die Gemeinschaft stärken.
Ende August haben Freifunk und Chaos Computer Club ihren Abmahnbeantworter vorgestellt, ein Tool, das Bürger*innen dazu befähigt, sich gegen unrechtmäßige Abmahnungen durch darauf spezialisierte Kanzleien zu wehren. In Zukunft kann man in fünf Schritten ein Antwortschreiben auf eine Abmahnung für einen Urheberrechtsverstoß generieren — schnell, rechtlich sauber und vor allem wichtig für diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten können. Ein Paradebeispiel für Civic Tech.
Civic Tech hilft nicht nur bei rechtlichen Fragen. Auch in anderen Bereichen wie Politik, Medien und Kultur finden sich zahlreiche Beispiele. Vor allem zwischen Staat und Bürger gibt es dabei noch viel unausgeschöpftes Potenzial. Eine Website mit digitalen Diensten kann Wartezeit beim Bürgeramt sparen; sichere Verschlüsselungstechniken ermöglichen Datenschutz in den Behörden, und ein interaktives Tool kann Daten so visualisieren, dass sich Bürger*innen über politische Themen und Prozesse gut informieren können.
Die “Civic Hackers”, wie sie in den USA genannt werden, entwickeln hierfür Programme, Geräte und Plattformen, die Partizipation ermöglichen, Transparenz schaffen und die Kommunikation zwischen Staat und Bürger verbessern. Sie kommen aus IT, Design, Medien oder Stadtplanung und bilden gemeinsam die digitale Form ehrenamtlichen Engagements. In Deutschland gibt es inzwischen über 300 Menschen, die im Civic-Tech-Netzwerk Code for Germany regelmäßig an solchen Projekten arbeiten.
“Warum macht ihr das?”
“Weil es möglich ist.”
— MagdeGo
Cross-posted from Medium.