15.Feb 2023

Wie Open-Source-Infrastruktur Hilfsorganisationen bei der Zusammenarbeit unterstützt

Hilfsgüter einzusammeln oder einzukaufen, ist nur ein Teil der Herausforderungen in der humanitären Arbeit. Die Güter, seien es Medikamente, Kleidung oder Nahrungsmittel, müssen effizient und ressourcenschonend verteilt werden. Hier kommt Boxtribute ins Spiel: Die Web-Anwendung bietet eine Übersicht über Lagerbestände und ermöglicht es Organisationen, schnell die benötigten Güter zu finden und zu verteilen. Boxtribute ist eines der in Runde 12 vom Prototype Fund geförderten Projekte.

Wir haben mit Philipp Metzner aus dem Boxtribute­-Team gesprochen.

Welches Problem wollt Ihr mit Boxtribute lösen?

Weltweit sind mehr als 274 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen davon sind 42 % Kinder( vgl. gho.unocha.org). Durch den Krieg in der Ukraine ist Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, gestiegen. Viele Geflüchtete leben in Lagern oder losen Siedlungen ohne angemessenen Zugang zu Nahrung, Wärme, Hygieneartikeln und anderen Grundbedürfnissen.

„Hilfsorganisationen und NGOs benötigen Innovationen, die die Effizienz und Zusammenarbeit fördern.“

Philipp Metzner, Software-Entwickler im Team von boxtribute

Um den individuellen Bedürfnissen der Geflüchteten gerecht zu werden, ist es wichtig, Hilfsorganisationen mit Innovation zu unterstützen. Dank Boxtribute ist es möglich, die Grundbedürfnisse von Individuen in Notsituationen zu erfüllen und gleichzeitig die persönliche Würde, Respekt und Entscheidungsfreiheit zu wahren.

Wie sieht Eure Lösung aus?

Unsere Software bietet humanitären Organisationen vereinfachte Prozesse für Verwaltung, Lagerung, Verteilung und Austausch von Kleidung, Medizin und Lebensmitteln. Mit der einzigen nicht-kommerziellen Open-Source-Software im Feld verändert unser Team die Art, wie Organisationen Hilfsgüter verteilen. Ein Netzwerk mit 14 Partnern in 7 Ländern nutzt unsere Lösung bereits, um Zehntausende mit Hilfsgütern zu versorgen und die richtige Hilfe zeit- und zielgerichtet auf würdevolle Weise zu bereitzustellen (1,8 Mio. Artikel im letzten Jahr).

Sortieren von Kleidung im Warenlager einer Hilfsorganisation. Foto Samos Volunteers

Boxtribute wurde aus direkten Erfahrungen vor Ort von unseren Mitarbeiter*innen und dem Feedback von Partner*innen wie #leavenoonebehind und Europe Cares entwickelt. Es bestätigt sich, dass Hilfsorganisationen und NGOs Innovationen benötigen, die Effizienz und Zusammenarbeit fördern.

Welche Bedeutung hat Software-Infrastruktur für Hilfsorganisationen?

Boxtribute unterstützt kleine humanitäre Hilfsorganisationen, die mit begrenzten Mitteln und weitgehend unbeachtet, monatlich je bis zu 5000 Menschen helfen. Bestehende Partner*innen sind von den positiven Auswirkungen unseres Systems überzeugt und empfehlen uns weiter. Zudem werben wir aktiv Partner*innen an. Boxtribute 2.0 bietet langjährigen Helfer*innen und neuen Freiwilligen vertraute Funktionen, womit sie in Krisensituationen schnell auf spezifische menschliche Bedürfnisse reagieren können. Organisationen profitieren außerdem von einer exzellenten Datenerfassung, die ihre Beziehungen zu Spendern stärkt, Finanzierung vereinfacht und gleichzeitig die strategische Planung verbessert.

Welche Lösungen waren bisher im Einsatz und was macht Boxtribute besser?

Kommerzielle ERP-Systeme sind für kleinere Gruppierungen zu teuer. Händische Buchführung ist ineffizient und fehleranfällig. Boxtribute ist einfach zu bedienen und schnell einsetzbar. Damit ist es perfekt geeignet für Organisationen, die obdachlosen Geflüchteten an vorderster Front helfen. Viele Mitglieder unseres Teams kennen die Bedürfnisse im humanitären Bereich aus eigener Erfahrung.

Welche Bedeutung hatte die Förderung durch den Prototype Fund für Euch?

Der Antrag finanziert die Weiterentwicklung von Boxtribute. Boxtribute 2.0 integriert bestehende internationale Hilfsstandards (z. B. die des UNHCR), um humanitären Gruppen die Einhaltung offener Standards zu vereinfachen. Wir überarbeiten unsere momentane Softwarearchitektur grundlegend, um ein Ökosystem für Organisationen zu schaffen, das individuellen Bedürfnissen von Zielgruppen besser gerecht wird und somit enorme Fortschritte am Schnittpunkt von Technologie und humanitärer Hilfe bringt.

Würde bewahren: Hilfsbedürftige können Ware selbst auswählen. Foto: Samos Volunteers

Die Förderung ermöglicht uns, über einen großen Zeitraum fokussiert und hauptberuflich an der Weiterentwicklung der Software zu arbeiten. Das ist ungemein wertvoll, da sonst die meiste Arbeit in ehrenamtlicher Weise entsteht. Ein konkretes neues Feature ist ein User Interface, das den Austausch von Hilfsgütern zwischen Organisationen ermöglicht. Mithilfe der vom PTF organisierten Coachings konnten wir hierfür ein stimmiges User-Experience-Design entwerfen.

Wie sieht die Zukunft von Boxtribute aus?

Im kommenden halben Jahr werden wir wieder hauptsächlich auf ehrenamtlicher Basis weiterentwickeln. Die Migration auf den neuen Technologie-Stack ist noch lang nicht abgeschlossen, doch bei den begrenzten Kapazitäten haben der Support für bestehende Nutzer*innen und Maintenance der Server Priorität. Wenn weitere Organisationen interessiert sind, werden wir natürlich mit ihnen zusammenarbeiten. Wir überlegen, ob ein oder mehrere “Hack-Wochen” ein gutes Format sind, um bei dieser Team-Konstellation effizient die Weiterentwicklung voranzutreiben.

Seht Ihr für Eure Lösung auch Anwendungsfälle außerhalb des Bereichs humanitäre Hilfe? Beispielsweise in der Logistikverwaltung kleinerer Organisationen oder Veranstalter*innen?

Das ist prinzipiell möglich, allerdings bewerben wir die Software dafür nicht direkt. Unsere Priorität ist, die humanitären Organisationen zu unterstützen, d.h. wir würden vermutlich keine Anfragen zur Erweiterung außerhalb deren Anwendungsfälle bearbeiten.

Philipp Metzner ist seit dem Frühjahr 2020 als Software-Entwickler im Team von boxtribute dabei, und hofft so, mit seinen technologischen Fähigkeiten die Situation von Bedürftigen und Hilfsorganisationen zu verbessern. Er setzt sich außerdem gern bei verschiedenen Initiativen in seiner Heimatstadt Freising ein, wie z.B. dem Betrieb des foodsharing-Cafes „übrig“ und der solidarischen Landwirtschaft „Auergarden“.